Richard Gölz
Richard Gölz (* 05.02.1887 Stuttgart, † 03.05.1975 Milwaukee/USA) darf als Gründer der Kirchlichen Arbeit Alpirsbach angesehen werden. Als Musikdirektor am Tübinger Stift förderte er die Renaissance der reformatorischen Musik, als Gründer der Alpirsbacher Arbeit gab er den Impuls zur Wiederentdeckung der Gregorianik in der ev. Kirche, als mutiger und doch so stiller Mann des Widerstandes ist er zu einem der Gerechten der Welt geworden, als Wanderer zwischen schwäbischem Luthertum und Orthodoxie läßt er den Betrachter über seinen Lebenslauf staunen.
Gölz hatte sich in der Nachfolge seiner älteren Brüder schon früh der Theologie verschrieben. Seine erste Stelle als Hausgeistlicher der Stuttgarter Diakonissenanstalt ermöglichte es ihm, Orgelunterricht zu nehmen und eine Ausbildung in Musiktheorie zu machen. 1920 ernannte ihn das Württ. Ministerium für Kirchen- und Schulwesen zum Musiklehrer am Tübinger Stift.
Anfangs reserviert gegen die Singbewegung, leitete Gölz seit 1924 selbst Singwochen und wurde so zu einem begehrten Multiplikator, der die Aufgabenstellung der Singbewegung auf das gottesdienstliche Singen der Kirchenchöre und Gemeinden zu übertragen verstand: Anstelle zahlloser Mendelssohn- und Silcherimitate setzte er die herbere Kost des altprotestantischen Chorals und der Barockmusik. Das Vermächtnis dieser Jahre hat er in seinem berühmten Chorgesangbuch (1934) gebündelt.
Im Frühjahr 1931 sorgte Gölz dafür, daß in der Tübinger Stiftskirche an zwei Wochentagen wieder Metten und Vespern gesungen wurden. Da er sich intensiv mit der oberdeutschen Gottesdienstordnung auseinandergesetzt hatte, war er sich bewußt, daß die Konzentration auf die Predigt andere, für den Gottesdienst konstitutive Elemente hatte verkümmern lassen: zuerst das Lob- und Fürbittamt der Kirche, dann den Gebrauch der biblischen Psalmen und nicht zuletzt das Altarsakrament. Als ihn der Ruf aus Alpirsbach erreichte, eine Singwoche abzuhalten, die sich mit Fragen des Gottesdienstes beschäftigen und durch Stundengebet und Abendmahlsfeier geprägt sein solle, nahm er sich der Sache mit großem Erfolg an. Die Struktur der Wochen ist von diesem Anfang her gleich geblieben: theologisches Arbeiten wechselt mit Singübungen; das Stundengebet gliedert den Tagesablauf.
1935 wechselte Gölz ins Pfarramt nach Wankheim bei Tübingen; Schwerpunkt der Wankheimer Gemeindearbeit war für Gölz immer der Predigtdienst. Ab 1937 fanden aber auch regelmäßig Alpirsbacher Wochen in Wankheim statt, wo 1940 eine eigene Hauskirche eingerichtet wurde, um dem Zugriff der Kirchenleitung zu entgehen. Gölz's Bemühen um die landeskirchliche Anerkennung der Alpirsbacher Arbeit vertiefte den Graben zwischen ihm und der Kirchenleitung.
In den Kriegsjahren gehörte das Gölzsche Pfarrhaus zu einer Kette württembergischen Pfarrhäuser, denen das Büro Grüber in Berlin Juden vermittelte, die dann versteckt und immer wieder weitergereicht wurden. Gölz wurde denunziert und während des Frühgottesdienstes in der Tübinger Stiftskirche am 23.12.1944 verhaftet. Es folgte die Überführung ins KZ Welzheim im schwäbischen Wald. 1945 war Gölz frei und kehrte nach Wankheim zurück. Er stürzte sich in die Arbeit; jeden Sonntag bestieg er die Kanzel und organisierte für den Sommer 1945 zwei Kirchliche Wochen in der Abtei Bebenhausen. Bebenhausen hätte nach seiner Vorstellung zu einem Seminar der Bekennenden Kirche werden sollen. Es kam aber zum Zerwürfnis mit den Alpirsbachern, die Gölz's Entscheidung für einen dauerhaften Konvent nicht mittrugen. So isoliert, ließ Gölz sich beurlauben und wurde bald darauf vorzeitig in den Ruhestand versetzt.
Nun begann Gölz auf Anregung eines Freundes, Lehre und Gottesdienst der orthodoxen Kirche zu studieren. Gölz schien gefunden zu haben, was er suchte: eine Kirche, in deren Gottesdienst etwas deutlich wird von der Epiphanie des Herrn. 1949 trat Gölz zur russischen Orthodxie über, im Sommer 1950 erfolgte die Priesterweihe. Als Teile seiner Gemeinde nach Hamburg zogen, folgte ihnen Gölz. Er begann, glagolitisch zu lernen, um die alten orthodoxen Hymnen und Stichiren (Kehrverse der orthodoxen Liturgie) für seine Gemeinde übersetzen zu können. Auch versuchte er, Gesänge und Gebete im Stile orthodoxer Liturgie zu komponieren.
Am 28.11.1958 verließ Gölz den alten Kontinent; seine letzte Lebensstation wurde Milwaukee im Staat Wisconcin/USA. Dort trat er in den Dienst der serbisch-orthodoxen St. Sava-Cathedral. Am orthodoxen Karsamstag, dem 3.5.1975, morgens gegen 11.00 Uhr, starb Gölz als Protopresbyter in Milwaukee.
Postum wurde Gölz und seiner Frau Hilde 1992 die Ehre zuteil, in Yad Vashem zu den Gerechten der Welt gezählt zu werden. Hilde Gölz hatte aus demselben Grund 1979 hochbetagt für sich und ihren bereits verstorbenen Mann das Bundesverdienstkreuz erhalten.
Joachim Conrad